Die EU macht Ernst: Zwei Stufen beim Einsatz von Kunststoffrezyklat bei Lebensmittelkontakt

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Seit dem 10. Oktober 2022 gelten in der EU neue Regeln zum Einsatz von Rezyklaten für Lebensmittelkontaktmaterialien. Die Verordnung gilt ab dem 10. Juli 2023. Um den Markt für recycelte Kunststoffe anzukurbeln, geht der jüngste Vorschlag der EU-Kommission für die neue Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) noch einen Schritt weiter – und schreibt einen Mindestanteil an recyceltem Material in neuen Verpackungen vor. Dabei hat man sich für einen produktspezifischen Ansatz entschieden. Es ist eine Menge Bewegung in dem Thema. Wir gehen für Sie ins Detail.

 

In ihrem Green Deal haben die europäischen Regulierer angekündigt, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Das ist nur über eine umfassende Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Dabei soll der Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffprodukten und -verpackungen einen wichtigen Beitrag leisten. Denn er verringert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, sichert die Rohstoffversorgung der Kunststoffindustrie und senkt die CO2- Emissionen im Herstellungsprozess.

 

10 Millionen Tonnen Rezyklat bis 2025

Die EU-Kommission und die Circular Plastics Alliance haben sich zum Ziel gesetzt, schon bis 2025 europaweit insgesamt 10 Millionen Tonnen Rezyklate in Kunststoffprodukten und -verpackungen einzusetzen. Dafür werden nicht nur die entsprechenden Quantitäten benötigt, sondern auch die geeignete Qualität. Speziell, wenn es um den Einsatz in Lebensmittelverpackungen geht.

 

Der erste Schritt ab Juli 2023

Am 10. Oktober 2022 hat die EU neue Regeln zum Einsatz von Rezyklaten bei Lebensmittelkontaktmaterialien beschlossen. Die Verordnung gilt ab dem 10. Juli 2023 und enthält klare Regeln für die sichere Nutzung von recyceltem Kunststoff in Lebensmittelverpackungen. Demnach dürfen Kunststoffe mit Rezyklatanteil nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn

  • das Rezyklat mit einer „geeigneten Recyclingtechnologie“ hergestellt wurde. Als geeignet gelten das mechanische Recycling von Post-Consumer-PET-Abfällen oder das Recycling im geschlossenen System „closed loop“.
  • Alternativ sind auch „neuartige Recyclingtechnologien gemäß der Verordnung“ erlaubt. Allerdings ist das Zulassungsverfahren, dass „neuartige“ Recyclingverfahren durchlaufen müssen, sehr aufwändig und kann bis zu sieben Jahre dauern.

 

Der zweite Schritt in der PPWR

Der im November 2022 von der Europäischen Kommission vorgestellte Entwurf für die neue Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) schreibt konkrete Zielquoten für den Rezyklateinsatz fest – und führt damit zu weitreichenden Änderungen. Mit der Vorgabe fixer Mindest-Rezyklateinsatzquoten will Brüssel die notwendige Nachfragesicherheit schaffen, so dass auf der Angebotsseite die erforderlichen Investitionen angestoßen werden können.

 

Der produktspezifische Ansatz

Gegen den Widerstand und die Empfehlungen von Branchenverbänden hat sich die EU gegen eine material- oder polymerspezifische Substitutionsquote entschieden. Man setzt dagegen auf einen produktspezifischen Ansatz. Dieser unterscheidet jedoch lediglich in Einweggetränkeflaschen, lebensmittelkontaktsensible und sonstige Kunststoffverpackungen.

Schon bei der bereits bestehenden, verbindlichen Regulierung für PET-Getränkeflaschen hatte sich Brüssel für den produktspezifischen Ansatz entschieden. PET-Flaschen müssten bereits ab 2025 zu mindestens 25 Prozent aus Rezyklat bestehen. Ab dem Jahr 2030 steigt die Mindestquote auf 30 Prozent – und gilt dann auch für Flaschen aus anderen Kunststoffen.

 

Zielquoten der PPWR

Wenn der Entwurf für die neue PPWR wie vorgesehen umgesetzt wird, gelten Rezyklateinsatzquoten zwischen 25 und 50 Prozent, die in zwei Stufen eingeführt werden. Konkret:

  • Für kontaktsensible Verpackungen wie Lebensmittelverpackungen
    • 30 Prozent ab 2030
    • 50 Prozent ab 2040
  • Für Einweggetränkeflaschen aus Kunststoff
    • 30 Prozent ab 2030
    • 65 Prozent ab 2040
  • Für sonstige Kunststoffverpackungen
    • 35 Prozent ab 2030
    • 65 Prozent ab 2040

 

Herausforderungen beim Aufbau von Kapazitäten

Bei der Umsetzung der neuen Vorgaben in die Praxis stehen Produzenten und Inverkehrbringer vor großen Herausforderungen. Denn für kontaktsensible Kunststoffverpackungen wie etwa Lebensmittelverpackungen gibt es aktuell lediglich Zulassungen für werkstofflich hergestellte Rezyklate aus PET. Es ist weder klar noch absehbar, welche recycelten Kunststoffe außer Flaschen-PET in Zukunft die hohen Anforderungen erfüllen können.

 

Chemisches Recycling

Der Verband der chemischen Industrie (VCI) sowie die FDP fordern deshalb eine kombinierte Nutzung von mechanischen und chemischen Recyclingverfahren, um die sowohl ökologisch als auch technisch und wirtschaftlich beste Nutzung von Abfallströmen zu ermöglichen.

Die Anerkennung chemischer Verfahren als geeignete Recyclingtechnologie ist in den Augen von VCI und FDP eine zentrale Voraussetzung, um die benötigen Rezyklatmengen zur Erfüllung aller relevanten Recycling- und Rezyklateinsatzquoten sicherstellen zu können.

Befürworter und Gegner des chemischen Recyclings argumentieren jeweils auf der Grundlage von Studien und Analysen:

Pro:

  • In einer aktuellen Studie von IDTechEx wird für Pyrolyse- und Depolymerisationsanlagen bis 2033 ein Recyclingvolumen von 20 Millionen Tonnen Kunststoffabfällen pro Jahr prognostiziert.
  • Die jüngst veröffentlichte Studie von SystemIQ zeigt, dass eine komplementäre Anwendung von mechanischem Recycling, chemischem Recycling und Wiederverwendung im PET/Polyester-System das Potenzial hat, die ökologischen und sozioökonomischen Vorteile zu optimieren.

Contra:

  • Ein Forschungsteam des Öko-Instituts e.V. belegt in seiner Studie basierend auf herangezogenen Zahlen und Annahmen, dass die Treibhausgasemissionen von Pyrolyse um neunmal höher sind, als die des werkstofflichen Recyclings von Kunststoffabfällen. Außerdem gehe mehr als die Hälfte des Kunststoffs verloren und müsse durch neuen Primärkunststoff ersetzt werden. Diese Faktoren behindern nach Ansicht des Instituts eine zirkuläre Wirtschaftsweise.
  • Insbesondere der WWF plädiert in seinem Positionspapier, dass chemische Recyclingverfahren mindestens 20 Prozent weniger THG-Emissionen im Vergleich zur Virgin-Produktion von Kunststoff aufweisen sollten.

 

Fazit

Es ist eine Menge Bewegung im Thema – und die Herausforderung ist global. Bewältigen lässt sie sich nur, wenn Verantwortliche der gesamten Wertschöpfungskette zusammenarbeiten. Politische Entscheidungsträger, NGOs und mechanische sowie chemische Recycler können das Ziel einer zirkulären Kunststoffwirtschaft nur im Team erreichen.


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