Trumpf (mit Risiken) im Marketing: Klimaneutrale Produkte

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Das Marketing hat das Thema klimaneutrale Produkte (zurecht) als Kaufkriterium erkannt und wirbt vermehrt mit CO2-Neutralität. Aber wie geht man dabei seriös und wissenschaftlich vor? Denn ein Greenwashing-Vorwurf kehrt das vermeintliche Kaufargument schnell in sein Gegenteil. Wir beleuchten für Sie, wie sich nationale und europäische Regulierer des Themas angenommen haben und welche Wege es gibt, um auf Unternehmens- und Produktebene so sicher wie möglich zu agieren.

 

Die unterschiedlichsten Produkte werben inzwischen mit ihrer „Klimaneutralität“ – von Katjes bis zur den Balea-Körperpflegeprodukten von dm. Der Vilsa-Brunnen geht sogar noch einen Schritt weiter und verspricht, dass die eigenen Produkte klimapositiv sind. Das heißt, das ein Produkt der Natur mehr zurückgibt, als es ihr entnommen hat.

Den Konsumentinnen und Konsumenten sind solche Aspekte durchaus wichtig für ihre Kaufentscheidung. Gleichzeitig sollten sich Unternehmen hüten, die Verwendung der Klimaattribute auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn schon der Verdacht auf Greenwashing führt gerade in Social Media leicht zu einem Shitstorm. Auch die EU hat sich des Themas bereits angenommen.

 

Die Konsumentinnen wollen es

Das Hamburger Meinungsforschungsinstitut Appinio hat im Januar 2021 1.000 Personen zwischen 16 und 65 Jahren repräsentativ zum Thema Klimaschutz befragt. Relevante Kernergebnisse:

  • Über 90 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher halten Klimaschutz grundsätzlich für wichtig.
  • 50 Prozent achten bereits auf Informationen zu den CO2-Emissionen der Produkte, vor allem bei Lebensmitteln und Drogerieartikeln.
  • Für 74 Prozent der Befragten ist der Klimaaspekt eine Entscheidungshilfe beim Einkauf.

Stellt sich die Frage, wie man die Klimavorteile seines Produkts und seiner Verpackung glaubhaft und möglichst unanfechtbar belegen kann. Hier gilt es, zwischen der Unternehmens- und der Produktebene zu unterscheiden.

 

Die Unternehmensebene

Auf der Unternehmensebene ist die Fragestellung inzwischen einfacher zu beantworten, da immer mehr Unternehmen sich wissenschaftlich fundierten Klimazielen nach Maßgabe der Science Based Targets-Initiative (SBTi) verpflichtet haben. Auch das Vorgehen zur Erstellung eines Corporate Carbon Footprint und einer Klimastrategie sind methodisch relativ klar beschrieben, auch wenn sie einer dynamischen Weiterentwicklung unterliegen. Kompensationen sind nach dem „wissenschaftlichen Modell“ erst dann erlaubt, wenn rund 90 Prozent der entstehenden Emissionen nach dem Greenhouse Gas Protocol (GHG) auf anderem Wege reduziert wurden.

 

Die Produktebene

Auf der Produktebene ist die Situation unklarer.

Auf der einen Seite existiert hier die internationale Spezifikation PAS 2060, die als das erste gültige Regelwerk für Klimaneutralität gilt. Sie wurde 2010 zum ersten Mal vom British Standards Institution (BSI) veröffentlicht.

Ein zentrales Kriterium zur Erreichung der Klimaneutralität ist nach PAS 2060 die Reduktion des Carbon Footprint. Dafür muss das Unternehmen einen Carbon Footprint Management Plan entwickeln und erfolgreich umsetzen.

Erst danach dürfen die verbleibenden Emissionen mit Emissionsminderungszertifikaten (Klimaschutzzertifikate) ausgeglichen / klimaneutral gestellt werden. Auch diese Zertifikate müssen konkrete Kriterien nach PAS 2060 erfüllen.

 

Auf der anderen Seite wird im Unterschied zu SBTi im ersten Jahr der Klimaneutralität nach PAS 2060 eine Ausnahme zugelassen. Konkret darf für den ersten Leistungszeitraum die Klimaneutralität durch 100 Prozent Kompensation über Zertifikate erreicht werden. Diese Regelung und die Art der erlaubten Kompensation hat bereits vermehrt zu Greenwashing-Vorwürfen geführt. So hat sich beispielsweise REWE auf diese Weise den „Goldenen Windbeutel“ von Foodwatch eingehandelt (Link).

 

Einen Ausweg könnte der internationale Standard ISO 14068 „Treibhausgasmanagement und damit verbundene Aktivitäten – Kohlenstoffneutralität“ bieten. Allerdings befindet er sich erst in der Erstellung. Er soll künftig klare Begriffsdefinitionen und Parameter für CO₂-Neutralität liefern, wofür zum Teil Inhalte aus der Spezifikation PAS 2060 übernommen werden.

 

Umweltbundesamt warnt vor Greenwashing.

Das UBA weist darauf hin, dass der Begriff „klimaneutral“ nicht gesetzlich geschützt ist. Er signalisiere lediglich, dass das Unternehmen für die Emissionen, die bei der Produktion des Produktes entstehen, Ausgleichzahlungen tätige.

Der „Verkaufsschlager klimaneutral” wird deshalb nicht zufällig immer öfter Gegenstand von Abmahnungen. Bei bislang drei Urteilen und etlichen laufenden Verfahren deutet sich eine klare Richtung an: Nach Ansicht der Gerichte darf der Begriff „klimaneutral“ pauschal so nicht verwendet werden, weil er intransparent sei.

 

Der Knackpunkt

In der Kritik steht dabei nicht die CO2-Kompensation an sich, ganz im Gegenteil. Sie ist seit dem Kyoto Protokoll im Jahr 2005 zur Bekämpfung des Klimawandels sogar ausdrücklich erwünscht – allerdings in der richtigen Reihenfolge: Erst vermeiden, dann reduzieren und erst dann kompensieren.

 

Unternehmen ergreifen die Initiative

Vielen Unternehmen sind die Problematiken bewusst und sie reagieren darauf. So haben beispielsweise FRoSTA, mymuesli, Nestlé Deutschland und Oatly gemeinsam mit der Klimaschutzorganisation GermanZero und mit Unterstützung der Global Impact Alliance und dem Collaborative Marketplace COBIOM eine „Initiative für mehr CO₂e-Transparenz in der Lebensmittelindustrie“ gegründet. Ihr Name: Together for Carbon Labelling (TCL). Im Rahmen von TCL soll – zunächst in und für Deutschland – ein industrieweiter Standard zur transparenten Erhebung und Kommunikation der CO₂e-Emissionen eines Produktes entwickelt werden.

 

Auf der Agenda der EU-Regulierer

Die Regulierer der EU arbeiten aktuell an einer Green Claim-Verordnung. Ein erster Entwurf wurde bereits zur Kommentierung publiziert. Er erlaubt noch keine abschließende Meinung, deutet aber schon an, dass der generelle Claim „climate neutral“ ohne ergänzende Erläuterung der zugrundeliegenden Spezifizierung oder Zertifizierung nicht mehr zulässig sein wird.

Möglich ist darüber hinaus, dass das Thema durch die methodisch zwingende EU-Vorgabe eines spezifischen Product Environmental Footprint (PEF) entschieden wird. Der PEF ist eine Methode zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance, die von der EU-Kommission in Kooperation mit Firmen und Fachexperten entwickelt wurde. Sie zielt darauf ab, die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Umweltleistungsbewertung gegenüber bereits vorhandenen Methoden zu verbessern. Dazu werden alle relevanten Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen sowie ressourcenbezogenen Belastungen, die ein Produkt verursacht, ermittelt.

 

Fazit

Eine steigende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten möchte beim Einkauf einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das ist zur Bekämpfung der Klimakrise und für die Erreichung der Klimaziele nur zu begrüßen und zwingend erforderlich. Viele Markenartikler haben das erkannt und suchen nach Wegen, diesem Wunsch nachzukommen. Auf verlässliche, anerkannte und kommunikationssichere Art und Weise geht das aber nur mit Hilfe der Politik. Sie muss – möglichst kurzfristig – den notwendigen, verbindlichen rechtlichen Rahmen zur Verfügung stellen.

Mehr zum Thema finden Sie auch im Politikbereich dieses Newsletters. Dort schauen wir uns die geplante neue „Green Claims“ Regulierung der EU genauer an.


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