Klartext: Alexander Baumgartner im Interview

Fotoquelle: Alexander Baumgartner

Es gibt wenige Professionals, die so viele unterschiedliche Segmente der Verpackungsbranche aus der Chefposition großer Unternehmen (z.B. Constantia, Aptar, Mayr Melnhof) und Verbände (z.B. ECMA, EAFA, FPE) betrachtet und gestaltet haben, wie Alexander Baumgartner. Einen exklusiven Einblick in über 30 Jahre Führungs- und Branchenerfahrung durften wir in eineinhalb Stunden mit ihm im Gespräch über Wachstumsthemen rund um Nachhaltigkeit, Innovationen und Trends erhalten.

 

Alexander Baumgartner hat in den letzten Jahrzehnten wie kaum ein zweiter aus führenden Positionen heraus auf die wichtigsten Märkte, Industrien und Materialien geschaut und sie mitgestaltet. Wenn einer die Verpackungswelt gesehen hat, dann er. Unter anderem war er CEO von Constantia Flexibles, President Europe von Aptar Beauty + Home sowie Seaquist Closures, COO von STI Gustav Stabernack und Marketing & Sales Manager von Mayr Melnhof Karton. Zudem war Baumgartner Vorsitzender der European Carton Makers Association (ECMA), der European Aluminium Foil Association (EAFA) und von Flexible Packaging Europe (FPE).

Wir durften eineinhalb Stunden mit Alexander Baumgartner sprechen – über Nachhaltigkeit, Innovationen, Nachwuchs, Trends, Dos and Don’ts und die Folgen von Corona für die Branche. Immer im Auge: Das Thema Wachstum. Wir sagen Herzlichen Dank! für die Insights und Empfehlungen. Und wir wünschen viel Freude und Erkenntnis beim Lesen.

 

Herr Baumgartner, was sind Ihrer Meinung nach aktuell die wichtigsten Themen für die Verpackungsindustrie im Allgemeinen und die Kunststoff-Verpackungsindustrie im Speziellen?

Das wichtigste Thema ist sicherlich Sustainability. Das beschäftigt uns alle, ganz unabhängig vom verwendeten Material. Im Bereich Nachhaltigkeit gibt es eine Dynamik, die ich sehr begrüße. Das sage ich als Professional, aber auch als Vater von drei Kindern und als jemand, der gerne in der Natur ist. Wir haben nun mal nur diesen einen Planeten. Als Unternehmen und als Führungskraft haben wir deshalb den Auftrag, jeweils unseren kleinen Beitrag zu leisten. Wir sollten die Erde zumindest genauso hinterlassen, wie wir sie vorgefunden haben.

K-Industrie muss umdenken

Auch wenn das Thema Sustainability materialübergreifend und für alle gleich ist, steht die Kunststoffindustrie dabei sicher vor einer ungleich größeren Herausforderung. Sie hat in den letzten Jahren tolle Erfolge gefeiert mit Barrierelösungen, die extrem leicht, sehr gut transportabel und gut bedruckbar sind. Jetzt muss sie den nächsten Schritt gehen. Dabei geht es nicht um eine Bewegung zurück, zurück geht es niemals. Der Schritt muss nach vorne gerichtet sein. Die Industrie muss ihren Rohstoff recyclingfähig machen, ohne dabei die überragenden Barriereeigenschaften gegenüber Wasserdampf, Sauerstoff, UV usw. zu verlieren. Was wir bisher über fantastische aber nicht recyclingfähige Multilayer abgedeckt haben, müssen wir jetzt mit recyclingfähigem Monomaterial umsetzen. Das erfordert ein Umdenken, das nicht zu unterschätzen ist. Die Lösungen liegen nicht einfach so auf der Hand. Auch wenn es schon einige Lösungen auf dem Markt gibt, insgesamt ist das noch nicht ausreichend. Der Weg liegt zum Großteil noch vor uns.

 

NACHHALTIGKEIT

Muss man sich Nachhaltigkeit als Unternehmen leisten können oder kann man es sich nicht leisten, darauf zu verzichten?

Zweiteres. Aber insgesamt ist es eine Kombination, ein Gesamtkunstwerk. Wer seine Meriten nur im Bereich Nachhaltigkeit hat, aber beim Preis, beim Service und bei der Qualität versagt, der wird kaum zu den Gewinnern zählen. Wer diese Faktoren aber im Griff hat und darüber hinaus noch bei der Nachhaltigkeit glänzt, der hat die besten Karten.

First Mover und Schwarzfahrer

Natürlich gibt es die Option, zu sagen, ich spare mir die Kosten erst einmal und springe später auf den Zug auf. Aber das ist nicht ohne Risiko. Denn je früher man das Thema bearbeitet, desto weiter kommt man, auch im Vergleich zum Wettbewerb. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch die Glaubwürdigkeit in den Berichterstattungen gegenüber Kunden, Investoren oder der Öffentlichkeit. Wenn beispielsweise Auftraggeber Audits einfordern, schauen sie genau hin, ob ihnen da Greenwashing präsentiert wird oder Substanz. Denn gerade die großen, internationalen Unternehmen und Marken müssen selber für eine runde Nachhaltigkeitsstory sorgen, um gegenüber Verbrauchern glaubwürdig zu sein. Das aber geht nur, wenn die präsentierten Werte auch bei den Lieferanten und in der Lieferkette gelebt werden.

Wer in diesem Umfeld seine Nachhaltigkeitsarbeit über lange Zeiträume hinweg zeigen, darlegen und beweisen kann, ist schlichtweg glaubwürdiger, auch in den Zielen, die definiert und nach außen kommuniziert werden. Wer ganz ohne Gepäck auf den Zug aufspringt und nur verkündet, wirkt eher wie ein Schwarzfahrer.

Als Person vorleben

Wie bei anderen Themen auch, sollte die Zielsetzung nicht mit dem Feierabend enden. Für mich war es immer wichtig, dass ich nicht nur als CEO oder Verbandspräsident die Bedeutung eines Themas erkenne und daran glaube, sondern auch als (privater) Mensch. Ich habe nicht nur eine Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern, sondern auch gegenüber meiner Familie und gegenüber den kommenden Generationen. Hier braucht man die nötige Sensibilität und Anpacker-Mentalität. Man muss Vorbild sein und seine Überzeugung leben. Wenn ich beruflich Nachhaltigkeit predige, aber gleichzeitig am Steuer des größten Verbrenners sitze, passt das nicht zusammen. Wenn dagegen mein berufliches und persönliches Engagement deckungsgleich ist, dann ist das nicht nur überzeugender, sondern auch erfolgreicher.

 

Bei Constantia wurde schon 2007 ein Nachhaltigkeitsmanagement eingeführt, also zu einem Zeitpunkt, als den meisten der reine Begriff noch unbekannt war. Wie beurteilen Sie das heute?

Durchweg positiv. Ein Nachhaltigkeitsmanagement bringt große Mehrwerte bei der Sensibilität und der Wahrnehmung durch die Mitarbeiter. Und das ist grundlegend.

Um es an einem Beispiel aus einem anderen Themenbereich zu verdeutlichen: Wir haben damals auch das Thema „Safety“ sehr hoch gehängt und beispielsweise überall dort, wo es Treppen gab, für Handläufe gesorgt. Das mag man heute kaum glauben, aber damals gab es Treppen ohne Handläufe, die man frei meistern musste, auch beladen, als Älterer oder mit verstauchtem Fuß. Anfangs sorgte das mitunter für unverständliches Lächeln oder Kommentare. Nach ein paar Jahren haben mir die Leute dann erzählt, dass sie das Thema Safety mit nach Hause genommen haben. Sie waren einfach sicherheitsbewusster geworden und haben die Verantwortung auch privat gegenüber sich selbst und ihrer Familie gelebt.

Es ist doch so: Wir verbringen einen derart großen Teil unseres Lebens am Arbeitsplatz und investieren dort so viel Energie, dass es schlicht prägt, und zwar über die Büroräume und Werkshallen hinaus. Wenn im Unternehmen Sustainability gelebt wird, wirft man auch beim Spaziergang den Müll nicht mehr einfach zwischen die Bäume, hat beim Hausbau ein Auge auf Energieeffizienz und so weiter. Und genau darum geht es. Nachhaltigkeitsmanagement will bewusstmachen und bewusst prägen. Es sind Botschaften, die wir mit nach Hause nehmen und in die Welt hinaustragen, beispielsweise, wenn wir Besuch von auswärts bekommen oder selber auf Reisen sind.

 

Das Buch der Nachhaltigkeit hat viele Helden – von Klimaschutz über Ressourcenschonung bis hin zur Artenvielfalt. Sind die alle gleich wichtig? Was macht man bei Zielkonflikten?

Ich bin ein Verfechter der Kreislaufwirtschaft. Ein Produkt, dass uns und unseren Planeten schon Ressourcen gekostet hat, darf nicht verschwinden oder zur Last fallen. Das muss erhalten bleiben und so oft wie möglich wiederverwendet werden, damit die enthaltenen Ressourcen einen langen und häufig wiederholten Wert haben. Deshalb steht für mich Kreislaufwirtschaft an erster Stelle. Alles, was hier einzahlt, priorisiere ich. Das fängt mit der Herstellung recyclingfähiger Produkte an, geht weiter mit den Sammelsystemen und schließt mit der Verwendung von Rezyklat. Auf diesem Weg haben wir noch einiges zu bewerkstelligen. Es wird noch immer viel zu viel verbrannt oder deponiert.

Rezyklat

Besonders beim Thema Rezyklat ist die Lücke noch viel zu groß. Es ist ja toll, wenn die Industrie alles recyclingfähig macht und die Gemeinden alles sammeln – aber was wird am Ende daraus? Parkbänke aus Altkunststoff können nicht unser endgültiges Ziel sein. Ein Riesenthema sind in diesem Zusammenhang Lebensmittelkontaktmaterialien aus Altkunststoff. Hier könnten wir wirklich einen Unterschied machen. Aber die Probleme sind in dem Bereich so groß, wie die bisherigen Ergebnisse klein sind. Das müssen wir lösen. Das muss einfach zu schaffen sein. Der Mensch war auf dem Mond und 10.000 Meter unter dem Meeresspiegel, aber bei der Verwendung von Rezyklat für Lebensmittelverpackungen kommt er kaum voran. Das ist sehr bedauerlich.

Die Probleme liegen sowohl auf technologischer, wie auch auf regulatorischer Ebene. Die Motivation der Regulierer ist dabei eher begrenzt. Für einen Regulierer ist verbieten, oder nicht erlauben, der einfachste Weg. Dann gibt es keine Probleme. Wenn er dagegen ein Material zulässt und im Nachgang kommt ein Institut oder eine NGO mit einer Gefahrenmeldung, ist der Ärger groß. Dabei brauchen wir dringend qualitativ hochwertige Absatzmärkte für Rezyklat. Erst dann ist der Kreislauf geschlossen und kann anlaufen. Und erst dann baut sich auch der Druck auf, diesen Kreislauf am Laufen zu halten. Momentan haben wir zwar punktuell funktionierende Kreisläufe, aber insgesamt ist das noch zu wenig.

Ökobilanzen

Bei der Ökobilanz ist es wie bei den KPI‘s in Unternehmen. Wir brauchen KPIs, um Entscheidungen herbeizuführen. Aber ich kann mich nicht auf eine Kennzahl allein beschränken, sondern muss eine Vielzahl im Blick behalten, von der Gross Margin und der Umsatzentwicklung bis hin zur Auslastung und der Anzahl der Mitarbeiter. Und so, wie es eine ganze Reihe von Indikatoren gibt, die Entscheidungsgrundlage für eine gute Unternehmensführung sind, gibt es eine Reihe von Faktoren für Nachhaltigkeit. Ökobilanzen sind eine davon. Sie helfen, eine gute, bessere, umweltgerechtere Lösung herbeizuführen, aber sie sind nicht die einzige Wahrheit. Das würde zu Fehlentscheidungen führen.

 

NACHWUCHS UND ÖFFENTLICHKEIT

Bewegen wir uns in einem monothematischen Umfeld? Gibt es nur Nachhaltigkeit und danach lange nichts? Was sind weitere wichtige Themen?

Ich denke, wir haben in der VP-Industrie einige weitere, wichtige Themen. Eines davon ist das Thema „People“. Die Verpackungsindustrie hat zunehmend ein Nachwuchsproblem. Gerade auch aufgrund der eben diskutierten Nachhaltigkeitsthematik ist es sehr schwierig, junge Menschen zu motivieren, in diese Industrie einzusteigen. Ich habe selber Kinder, die an der Universität sind, aber aus deren Kreis ist noch niemand aufgetaucht oder hat mich angesprochen, um nach Orientierung oder Hilfe beim Einstieg in die Verpackungswirtschaft zu fragen. Die Leute wollen lieber in die Elektromobilität und in die Start-ups mit den coolen Themen.

Wir müssen es schaffen, die Leute zu motivieren. Wir müssen ihnen klarmachen, dass sie bei uns einen echten Beitrag für die Zukunft leisten können. Wir sind nicht die bösen Buben. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst. Unsere Aussage muss sein: Du kannst hier etwas bewegen. Denn ohne Verpackung kannst weder du noch deine Familie leben. Wenn du in zehn Jahren zurückschaust und siehst, dass du hier etwas bewegt hast, für eine gute Zukunft gesorgt hast, dann bis du ein Held.

Die Industrie stellt sich selber ein Bein.

Gerade, wenn es um die Nachwuchsgewinnung geht, stehen wir uns als Industrie aber leider selber im Weg. Das ist sehr schade. Dabei haben wir in der Verpackungswelt doch eine gemeinsame Aufgabe. Wir führen Waren vom Hersteller oder Zentrallager über die Zwischenstationen Handel oder Großlager geschützt und in bestmöglicher Qualität zum Konsumenten. Das ist ganz unabhängig vom Material. Glauben Sie mir, ich habe schon für viele Materialfraktionen verantwortlich gearbeitet und ich kann mit Überzeugung sagen: Es gibt nicht das eine Material, das alle anderen erschlägt. Es gibt die perfekte Lösung für dieses Füllgut und es gibt die perfekte Lösung für jenes Füllgut. Einige muss man eher technisch sehen, andere mehr aus dem Blick der Logistik und noch andere eher aus der Perspektive des Marketings. Manchmal geht es um den Impulskauf und die Freude am Schenken, dann ist die Schachtel Pralinen vielleicht nicht gewichtsoptimiert, aber sie ist schön bedruckt und ich fasse sie gerne an. Das ist dann das, was zählt. Bei anderen Waren steht dann vielleicht die Gewichtsoptimierung im Vordergrund.

Jeder sollte in seinem Bereich seinen Teil beitragen. Wir sind alle in einem, gemeinsamen Boot. Es ist wirklich schade, dass wir so wenig zusammenhalten, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen. Zwietracht ist weder effizient noch attraktiv. Gerade beim Thema Nachwuchs fällt uns das gewaltig auf die Füße.

Das Delta der öffentlichen Meinung

Grundsätzlich ist diese Unfähigkeit der Industrie, der Allgemeinheit die Bedeutung der Verpackung und der Verpackungsbranche klarzumachen, etwas, an dem ich verzweifeln könnte. Ich bin daran auch selbst bislang gescheitert in den leitenden Funktionen, die ich in Unternehmen oder Verbänden wir dem Faltschachtelverband ECMA oder dem Flexible-Verband EAFA hatte. Dabei hat doch jeder unsere Produkte täglich in der Hand und nutzt sie komplett ohne schlechtes Gewissen. Im Gegenteil, er genießt die Vorteile, die unverzichtbaren Leistungen und auch die Freude, die wir mit Verpackungen geben. Aber wenn er aus der abstrakteren Perspektive draufschaut, ist Verpackung sofort wieder böse. Dieses Delta, dieses Wissensvakuum zu schließen wäre für uns ungemein wichtig. Wir müssen raus aus der Defensive.

Wahrscheinlich sind wir immer noch zu technisch in unserer Argumentation. LCA oder CO2-Ausstoß interessiert die Leute 10 Sekunden und dann steigen sie schon wieder aus. Wir legen die Fakten auf den Tisch, aber Fakten sind heutzutage nicht unbedingt immer der Winner. Vielleicht brauchen wir mehr Emotion, um eine sachlichere Einstellung der Leute zu erreichen. Das ist fundamental, damit die Politik nachziehen und etwas machen kann. Denn die Politik folgt den Wählerstimmen. Sind diese irrational, ist auch die Politik irrational. Und das ist tragisch, wenn sie Themen entscheiden soll, die unsere Zukunft prägen.

 

KONSOLIDIERUNG

Ein anderes, dominantes Thema für die Verpackungswirtschaft ist das Thema Konsolidierung. Da passiert sehr viel. Wenn man sich die Landschaft vor 20 Jahren anschaut und mit heute vergleicht, sieht man eine Entwicklung hin zu sehr großen Playern, die global agieren und prägen. Gleichzeitig ist unsere Branche noch immer sehr kleinteilig. Es gibt sehr viele mittelständische, unternehmergeführte Firmen, die in den 50er bis 70er Jahren entstanden sind und über intelligente Lösungen und Innovationen große Erfolge gefeiert haben. Diese „alten“ Gründer und Unternehmer stehen oft vor einer ungeklärten Nachfolgerfrage. Auf dieser Basis ist es nicht überraschend, dass es viele M&A-Aktivitäten gibt.

Das Thema ist übrigens kein rein finanzielles oder technisches. Es verändert auch darüber hinaus einiges. So bringt es beispielsweise große Veränderungen in der Kultur. Es ist schon ein Unterschied, ob ich als Mitarbeiter in einer gewachsenen Struktur tätig bin und vielleicht sogar im direkten Kontakt mit dem Eigentümer arbeite oder ob ich nach der Übernahme für ein börsennotiertes Milliarden-Unternehmen tätig bin. Da gelten andere Taktzahlen, andere Prioritäten und es herrscht eine andere „Wärme“. Das ist ein großes Thema, nicht nur für die VP-Industrie, aber eben hier sehr ausgeprägt.

 

DIGITALISIERUNG

Es heißt, die Corona-Pandemie habe die Digitalisierung um sechs Jahre vorangebracht. Wo sehen Sie die prägendsten Auswirkungen der Digitalisierung der letzten Jahre?

Digitalisierung ist ein sehr breites Themenfeld mit Auswirkungen auf sehr viele Bereiche. Einige stechen vielleicht hervor und sind relevanter, als andere.

Digitaldruck

Die Möglichkeit, ohne Andruck zu drucken und das Sample mit der Nummer 1 schon in der gewünschten Qualität in den Verkauf schicken zu können, ist sicherlich ein Quantensprung. Vorbei die Zeiten, in denen man sieben bis 20 Minuten brauchte, um einen Druckbogen aus der Maschinen zu bekommen, auf dem die sieben, acht oder zwölf Farben perfekt sitzen. Das hat der Digitaldruck revolutioniert. Das ist eine Megabewegung. Ich denke, wir können hier in Zukunft noch viel mehr tolle Entwicklungen erwarten. Der Digitaldruck hat die Industrie bereits total verändert und wird sie noch weiter revolutionieren.

Steuerung

Die Möglichkeiten im Bereich Steuerung sind ein weiteres High-Impact-Thema für die Industrie. Ich kann heute meine Maschinendaten von jedem Ort aus mit dem Handy kontrollieren und steuern. Das sind Dimensionen, die vor 10 Jahren noch komplett unvorstellbar waren. Die Auswirkungen sind gewaltig. Als Stichwort beispielsweise das Thema Antizipation. Wir können jetzt frühzeitig Sachen erkennen, die sich früher erst in Tagen oder Wochen präsentiert hätten – dann aber als unwillkommene Überraschung.

Supply-Chain

Auch für die Supply-Chain ist die Digitalisierung eine Revolution. Warenströme, Lagerkapazitäten, Verfügbarkeiten: Das alles können wir jetzt in Echtzeit erfassen und optimieren. Das sind alles Dinge, die vor 10 Jahren nicht denkbar waren. Die Verfügbarkeit und Transparenz von Daten und Informationen sind eine ganz andere.

People und Führung

Home-Office ist das, was vielen zuerst einfällt beim Thema Digitalisierung. Und es ist durchaus ein Faktor. Um es etwas plakativer zu formulieren: Früher gab es Väter, die ihre Kinder gar nicht mehr gekannt haben, weil sie nur im Betrieb waren. Die Digitalisierung gibt uns die Möglichkeit, Arbeit und Privates harmonischer zu verknüpfen. Stichwort Work-Life-Balance. Wenn wir als Führungskräfte dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter diese Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen können, macht uns das auch als Industrie und Arbeitgeber wieder ein Stück weit attraktiver.

Messen

Auch die Messegesellschaften spüren die Digitalisierung. Hier hat Corona natürlich ganz spezifische Vorschub geleistet. Für ein abschließendes Urteil tue ich mir allerdings schwer. Ursprünglich waren wir froh über jeden Mitarbeiter, der auf eine Messe wollte. Das haben wir nach Kräften gefördert. In den letzten fünf bis sechs Jahren sind die Kosten dafür allerdings explodiert. Das lag weniger an den Messegesellschaften, sondern an den ausufernden Preisen für Hotels, Verköstigung und so weiter. Da haben wir dann Listen geführt und genau geschaut, welcher Mitarbeiter wirklich auf welche Messe muss.

Noch ist im dem Bereich meiner Meinung nach vieles Work in Progress. Die Findungsphase läuft noch. Es kann schon sein, dass sich im Moment neue, digitale Standards definieren, die Präsenzveranstaltungen weitgehend überflüssig machen. Zumindest als Besucher und Aussteller tendiere ich dazu, das hergebrachte Messekonzept als veraltet anzusehen. Es kommt allerdings auch auf die Branche an. Für Maschinenbauer sind Messen eminent wichtig. Diese Produkte will man als Käufer konkret sehen und nicht nur digital. Darüber hinaus kann ich mir auf einer Messe 20 Maschinen anschauen und muss nicht zu 20 Hausmessen fahren. Als Rohstoffhersteller habe ich dieses Problem nicht. Da kann ich meine Vorzüge auch als digitale Botschaft an den Mann und die Frau bringen.

Insgesamt würde ich sagen, dass die Zeit der generellen Verpackungsmessen eher vorbei ist. Größe und Fokus werden sich verändern. Es wird mehr Spezialmessen als Interpacks geben.

 

KOMMUNIKATION UND MARKETING

Auch im Bereich Kommunikation und Marketing schlägt die Digitalisierung durch. Wir können damit immer spezifischer und zielgruppengerechter agieren. Wenn Google weiß, für was ich mich interessiere und was mich beschäftigt, dann könnte das auch eine Chance für uns als Industrie sein. Warum sollten wir nicht gezielt Menschen ansprechen, die sich ausgewiesenermaßen für Verpackung interessieren, sei es im Positiven oder Negativen. Diese Gruppe können wir jetzt zumindest identifizieren.

So, wie B2C-Plattformen Erfolge feiern, weil sie unsere Bedürfnisse vom Online-Shopping bis hin zur Partnersuche erfüllen, können auch B2B-Plattformen erfolgreich sein. Die Digitalisierung macht es möglich. Sie bringt Angebot und Nachfrage zusammen, kann Prozesse effizient und transparent machen. Wenn ich heute Expertise oder Möglichkeiten für neues Geschäft suche, kann ich auf Xing oder LinkedIn gehen und bekomme innerhalb von Sekunden X Ansprechpartner. Wie haben wir das nur vor 10 Jahren gemacht? Heute habe ich einen Pool von Menschen, auf die ich damals nie gestoßen wäre – und schon gar nicht mit einer direkten Kontaktmöglichkeit.

Das Marketing ist eine der großen Stärken der Verpackung und der Branche. Wir können Dinge bunter machen, Formen verändern, aus Langweiligem Interessantes machen. Die Verpackung ist noch immer der First Moment of Truth. Die Verpackung ist es, die mit den Leuten spricht. Heute schaffen es die Leute im Marketing, mit Materialwahl, Formgestaltung, Druckgestaltung usw. gezielt Botschaften zu senden. Mit Farben oder einzelnen Wörtern kann die Verpackung klarmachen, was vegan, was öko, was für die Freizeit und was für den Snack zwischendurch ist. Das kann nur die Verpackung. Und natürlich gibt es auch Produkte, die ohne Verpackung auskommen. Ein Auto muss ich nicht verpacken, damit es kommuniziert, die Verpackung muss es „nur“ geschützt zum Händler transportieren. Aber die meisten Produkte brauchen für ihre Kommunikation die Verpackung.

 

WACHSTUM

Man hat den Eindruck, der Kunststoffindustrie gehen seit einiger Zeit Umsätze verloren. Wie können Unternehmen in diesem Umfeld wachsen?

Der zentrale Punkt ist die Kreislaufwirtschaft. Darüber haben wir ja bereits ausführlich gesprochen. Dazu kommt das ganze Thema Digitalisierung mit all seinen Facetten von Druck bis Supply Chain. Auch das haben wir schon thematisiert. Hier können die Unternehmen der Kunststoffindustrie Einiges an Wert und Differenzierung generieren.

Auch beim Thema Kleinserien kann die Kunststoffindustrie einen besseren Job machen. Da haben Papier und Faltschachteln Vorteile.

Bei Rigid-Kunststoffen stehen wir vor der Herausforderung, dass wir immer ein Spritzgusswerkzeug brauchen und das kostet richtig Geld. Das können schnell 20.000 aber auch 700.000 Euro sein. Nur für das Werkzeug. Da ist noch kein Produkt verkauft. Auch hier hat es beispielsweise die Faltschachtelindustrie mit ihren Stanzwerkzeugen einfacher.

Erwähnen möchte ich auch noch das Thema Rapid Prototyping. Auch hier kann die Industrie noch viel entwickeln. Die Zeit von der Idee des Kunden bis zum ersten Muster oder Prototypen muss verkürzt werden. In dem Bereich ist die Kunststoffindustrie im Vergleich einfach zu langsam.

Consumer Preference und natürliche Bewegungen

Bei der Frage, ob der Shift zu Papier und Karton dem Kunststoff und den Flexibles dauerhaft Marktanteile abnimmt, bin ich skeptisch. Denn solche Bewegungen hat es immer gegeben. Denken Sie an die Zahnpastaschachtel. Was für einen Aufschrei gab es in der Kartonindustrie, als die Schachtel verschwand, weil die Tuben nicht mehr aus reinem Aluminium, sondern aus Laminat bestanden, das selbst dann noch gut aussah, wenn Konsumenten die Tube im Regal schon mal probegedrückt hatten. Das war der Wegbereiter für „Wir brauchen eigentlich keine Faltschachtel mehr“. Und genauso gibt es die Entwicklung in die andere Richtung.

Die Verbraucher haben halt im Moment eine Präferenz für Fasermaterialien und die Industrie versucht, das zu bedienen. Sehe ich deshalb einen riesen Shift und eine massive Abwanderung? Nein, sehe ich nicht. Weil die Barriereeigenschaften von Papier und Wellpappe weit hinter den Barriereeigenschaften von Kunststoff stehen. Aber es wird immer Bewegung und Wechsel geben, heute Beutel und morgen Faltschachtel, heute Rigid-Flasche, morgen Beutel. Da brechen aber keine 20 Prozent vom Markt weg, so dass die einen die endgültigen Gewinner und die anderen die endgültigen Verlierer sind. Das sehe ich nicht.

 

Wir beobachten, dass ein Großteil der Verpackungsindustrie sehr stark von bestehenden Geschäftsbeziehungen lebt. Gleichzeitig nimmt der Preisdruck weiter zu. Was ist Ihr Eindruck?

Ich denke, das hat mit der Kommodisierung des Geschäfts zu tun. Je austauschbarer man mit seinem Produkt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass schon ein relativ geringer Preisvorteil des Wettbewerbs das Geschäft wegnimmt.

Preisdruck und Vertrauen als Basis für Wachstum

Man muss halt einen Unterschied machen. Denn Kunden geht es nicht nur um den Preis. Es geht auch um Service, um Nachhaltigkeit, um Zuverlässigkeit und so weiter.

Ein ganz entscheidender und grundsätzlicher Faktor ist das Thema Vertrauen. Jeder Kunde sieht sich mit Krisen und Notlagen konfrontiert, die einfach passieren. Weil die IT spinnt oder ein Mensch nicht bei der Sache war. Shit happens. Für den Kunden kommt es dann darauf an, wie ich als Lieferant damit umgehe. Bin ich da und helfe ich ihm, die Notlage zu meistern? Wer seinem Kunden zeigen kann, dass er Probleme ernst nimmt und Lösungen findet, der hat die beste Ausgangsposition, um seine Geschäftsbeziehung selbst bei bereits hohen Marktanteilen weiter auszubauen. Ich denke, die Erfahrungen der Corona-Pandemie haben ein Übriges getan, um die Bedeutung des Faktors Vertrauen noch weiter zu stärken.

Neues Wachstum

Für neues Wachstum wäre im Umkehrschluss genau der Moment richtig, an dem ein Kunde mit seinem Lieferanten unzufrieden ist. Beispielsweise, weil der auf Probleme nicht reagiert hat. Aber das ist nicht so einfach. Wann genau ist dieser Moment? Letztlich bleibt das also Trial-and-Error.

Branchenkenntnis

Ein wichtiger Faktor für neues Wachstum ist ohne Frage Branchenkenntnis. Wenn man nie in die Kaffeeindustrie geliefert hat und bei der Kundengewinnung mit der eigenen Schokoladen-Expertise punkten will, weil der Unterschied ja nicht so groß sein kann – dann wird man keine Treffer landen. Wenn ich dagegen in einem Segment gut bin, dann habe ich in diesem Segment die ganze Industrie als Wachstumskandidaten. Weil ich weiß, wie die Branche tickt. Weil ich hier die technische Ausstattung, die Planbarkeit und eine erfahrene Organisation habe, die weiß, welche Saisonalität es gibt, wo die Konsumentenwünsche sind, was den Marken wichtig ist und so weiter. Diese Faktoren sind für eine Wachstumsstrategie viel wichtiger, als die großen Segmente anzugehen, nur, weil sie groß sind.

Innovation

Innovation ist ein weiterer, wichtiger Faktor für Wachstum. Gerade wenn ich neue Kunden gewinnen will ist das ein Türöffner. Denn hier kann ich etwas bieten, das andere nicht bieten können.

Internationalisierung

Der Weg ins Ausland und auf neue Märkte kann ein Weg für neues Wachstum sein. Aber man sollte das nicht unterschätzen. Denn es gibt dafür kein Patentrezept. Die meisten, die den Weg nach Asien oder in die USA gegangen sind, haben ihn unterschätzt. Man geht dorthin in dem Glauben, man kenne das Geschäft, nur um bald festzustellen, dass man vieles noch einmal ganz neu lernen muss. Das betrifft auch ganz banale Dinge, zum Beispiel die Art und Weise, wie in diesem Land Geschäfte gemacht werden.

Ein weiterer Punkt ist die Komplexität in der Organisation. Bin ich als bisher rein europäisches Unternehmen plötzlich auch in Asien oder Südamerika aktiv, dann verbringen plötzlich die schlauesten Köpfe der Unternehmens 10, 20, 30 Prozent ihrer Zeit im Flieger. Die stehen dann für das Kerngeschäft nicht mehr zur Verfügung, weil sie sich um ein anderes Geschäft kümmern müssen.

Das alles sollte man in seine Überlegungen mit einbeziehen. Internationalisierung ist eine coole Geschichte aber es ist auch eine sehr komplexe und harte Geschichte. Die Kosten steigen und die Margen sind an dem neuen Ort meist niedriger, als man es gewohnt ist. Wenn man trotzdem eine gesunde, gezielte Entscheidung für den Gang ins Ausland trifft, dann sollte man ihn durchziehen. Hat man dazu noch eine Affinität für den Markt, das Land oder die Sprache, dann ist das ein Vorteil.

Meine Empfehlung: Gehen Sie im Idealfall nicht alleine in den neuen Markt, sondern gemeinsam mit einem großen Kunden. Das federt die ersten Härten ab.

M&A

Ein anderer Weg für neues Wachstum ist M&A. Wenn ich ein Unternehmen finde, das in einem anderen Segment gut ist, wenn ich es kaufen und integrieren kann, dann kann ich dessen Position und Know-how nutzen, um den neuen Markt zu erschließen.

 

CORONA

Hat Corona etwas verändert beim Blick auf die Verpackung? Was ist ihr Eindruck?

Auf die Industrie glaube ich, dass die Regionalisierung der Märkte mit Covid wieder zunehmen während die Globalisierung etwas zurückgedreht wird. Als italienisches Unternehmen kauft man wieder gerne in Italien, als Deutsches in Deutschland. Wir haben gerade erfahren, dass der Grenzverkehr mit Waren problematisch sein kann.

Auch in Bezug auf die öffentliche Meinung und den öffentlichen Umgang mit Verpackungen sehe ich einen veränderten Blick auf die Verpackung. Ob diese Bewegung allerdings nachhaltig ist, wird sich erst zeigen. Zwar kaufen die gleichen Leute, mit denen ich vorher ewig diskutiert habe, warum die Gurke in Folie gepackt werden muss, heute nur noch Gurke in Folie. Aber das erzählen sie mir natürlich nicht, während sie in ihrer Kritik vorher sehr gesprächig waren. Deshalb zweifele ich an der anhaltenden Wirkung der Bewegung. Ist nicht bald wieder alles gut, wir alle geimpft und das Leben geht weiter wie zuvor? Das glauben die Menschen zumindest, weil wir als Mensch halt so ticken, weil wir einen nahen Horizont der Hoffnung brauchen. Und dann geht es vielleicht auch wieder zurück zum Verpackungs- und Kunststoffbashing. Das ist meine persönliche, vielleicht etwas zu negative und auf jeden Fall spekulative Antwort.

Ich leiste mir aber noch eine zweite Antwort. Und ich denke, auch an der ist etwas dran. Meine professionelle Antwort ist: Ich glaube schon, dass die Erfahrung der Pandemie Spuren hinterlassen wird. Was gerade passiert, hat Kraft und prägt uns alle, weltweit. Zum Beispiel beim Schutz vor Viren, Bakterien und gesundheitlichen Gefahren, das wird bleiben. Und damit wird auch die Schutzfunktion der Verpackung in den Köpfen der Leute eine neue Dimension bekommen. Davon bin ich überzeugt. Ob das reicht, um die Ecke des bösen Buben zu verlassen – das wird sich zeigen.


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