Der vor allem politisch getriebene Trend zu immer mehr Mehrweg macht nicht bei Getränken und Gastronomie Halt. Weitere Anwendungsbereiche sind in den Fokus geraten. Auch im Lebensmittelbereich machen sich Markenartikler zusehends Gedanken, ob eine Umstellung auf Mehrweg angeraten ist. Der Antwort im Weg steht allerdings oft der nicht unerhebliche Aufwand für eine umfassende Öko-Bilanzierung. Wir zeigen Ihnen die Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das die Frage für Tomatenpassata und Mandeln exemplarisch untersucht hat. Wir liefern eine B+P-Faustregel, die sie grundsätzlich in Ihren Werkzeugkasten packen können. Und wir erklären in einem Exkurs, welche drei Faktoren für das ökologische Abschneiden von Mehrwegglas bei Lebensmittel grundsätzlich entscheiden.
Traditionelle Mehrwegsysteme gibt es auch im Lebensmittelbereich vereinzelt noch, beispielsweise beim Joghurt-Glas. Dass Mehrwegglas bislang auf Einzelfälle begrenzt bleibt, liegt nicht zuletzt an der Rückführungslogistik, die eine besondere und grundsätzliche Herausforderung bei Mehrwegverpackungen darstellt.
Vor dem Hintergrund der massiven Regulierungen müssen sich Markenartikler trotzdem Gedanken machen, ob eine Umstellung einzelner Produktlinien auf Mehrwegverpackungen heute marktseitig wieder eine Alternative ist (oder sein muss). Grundlegend ist dabei auch die Frage, ob das Mehrwegglas ökologisch überhaupt Vorteile bringt. Leider lässt sich das ohne den Aufwand einer umfassenden Öko-Bilanzierung selten ausreichend beantworten.
Ergebnisse des Forschungsprojekts Innoredux
In diese Zwickmühle stößt das Forschungsprojekt „Innoredux – Geschäftsmodelle zur Reduktion von Plastikmüll entlang der Wertschöpfungskette: Wege zu innovativen Trends im Handel“. Im Rahmen der Forschungen wurde auch untersucht, ob Mehrweg-Gläser für Lebensmittel ökologisch sinnvoll sind oder nicht. Konkret hat sich das Projekt dafür zwei Produkte vorgenommen: Tomatenpassata und Mandeln.
Mandeln
In der Übersichtsökobilanz zu den Verpackungen wurden drei Referenzfällen verglichen:
- Einweg-Beutel aus Kunststoffverbundfolie (Anlieferung in einem Einweg-Papiersack),
- Unverpackt (Anlieferung in einem Mehrweg-Kunststoffeimer) und
- Mehrweg-Pfandglas (etabliertes Pfandglas für Joghurt mit einer angenommenen Umlaufzahl von 50).
Das Ergebnis: Der Einsatz des Mehrweg-Glases für Mandeln zeigt ökologische Nachteile im Vergleich den beiden anderen Alternativen.
Ursachen: Der Grund liegt vor allem in der Einmalnutzung des Weißblechdeckels und im hohen Gewicht der Mehrweg-Glasverpackung – sowohl im Verhältnis zur transportierten Produktmenge als auch insgesamt im Vergleich zu den leichtgewichtigen Alternativen. Hohe Distributionslasten und eine nachteilige Packeffizienz sind die Folge.
Tomatenpassata
In der Übersichtsökobilanz zu den Verpackungen von Tomatenpassata wurden ebenfalls drei Referenzfällen verglichen:
- Einweg-Glas,
- Einweg-Verbundkarton und
- Mehrweg-Pfandglas“ (basierend auf dem Pfandglas für Joghurt; Umlaufzahl=50).
Das Ergebnis:
Der Einsatz des Mehrweg-Glases für Tomatenpassata weist ökologische Vorteile im Vergleich zur konventionellen Einweg-Glasverpackung auf. Aber auch der Einweg-Verbundkarton zeigt gute Ökobilanzergebnisse.
Ursachen:
Im Vergleich zum Einweg-Glas besitzt das Mehrweg-Glas vor allem durch seine angenommenen 50 Umläufe und einem entsprechend nur anteilig anfallenden Energieaufwand bei der Glasherstellung Vorteile. Positiv ins Gewicht fielen darüber hinaus im Bereich der Emissionen die kürzeren Distributionswege und die lokale/regionale Distributionsstruktur.
Einordnung der Ergebnisse
Insgesamt wird deutlich, dass der Einsatz von Mehrweg-Gläsern nicht per se und für alle Anwendungsgebiete ökologisch sinnvoll ist. Es kommt auf das zu verpackende Produkt und seine Schutz-Anforderungen an, aber auch auf den Anwendungskontext, in dem eine Verpackung zum Einsatz kommt. Die Nutzung eines Mehrweg-Glases kann entsprechend ökobilanzielle Vor- aber auch Nachteile haben.
Wichtig für ein gutes Abschneiden von Mehrweg-Glas in der Ökobilanz sind:
- eine hohe Packeffizienz (viel Produkt pro Verpackung),
- hohe Umlaufzahlen,
- effiziente Abfüll- und Waschprozesse und
- eine lokale/regionale Distributionsstruktur für kurze Transportwege.
Unsere Faustregel für Ihren Werkzeugkasten
Sobald die Verpackung deutlich mehr wiegt als das Füllgut, wirken sich Mehrweglösungen eher nicht positiv auf die Umweltwirkungen aus.
- Sehr leichte Produkte wie beispielsweise Tee eignen sich daher nicht zum Verpacken in Glas-Mehrwegbehältern. Aber auch Produkte mit einer geringen Packeffizienz begrenzen das Produktgewicht, weil – wie beispielsweise bei Mandeln oder Nudeln – in der Relation zu viel Luft in der Verpackung ist.
- Werden dagegen pastöse Produkte wie beispielsweise Tomatenpassata und Apfelmus oder andere (flüssige) Konserven wie beispielsweise Kichererbsen oder Sauerkraut in Glas-Mehrweg verpackt, ist dies ökologisch meist sinnvoll. Das gilt insbesondere im Vergleich zum Einweg-Glas.
B+P Fazit
- Mehrweg hat Entwicklungspotentiale auch im Lebensmittelbereich – allerdings nicht pauschal und überall. Die Studie kann als Leitfaden für Lebensmittelhersteller dienen, die sich dem Thema nähern wollen und sie ist hilfreich, um erste geeignete Produktkategorien auszuwählen.
- Findet man für die geeigneten Kategorien Marktbegleiter mit ähnlichen Gedanken, lässt sich sogar über den Aufbau eines Mehrweg-Pools nachdenken. Ein jüngstes Beispiel liefern die Bitburger Gruppe, die Krombacher Brauerei, die Radeberger Gruppe und die Warsteiner Brauerei, die einen ersten Pool für 0,33 l Longneck Flaschen gegründet haben.
EXKURS: Die grundlegenden Öko-Faktoren für Mehrwegglas
Allgemein
Ob ein Mehrweg-Glas für ein bestimmtes Produkt ökologisch sinnvoll ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Damit das Gesamtsystem vorteilhaft abschneidet, ist ein gutes Zusammenspiel nötig von
- Verpackungsherstellern,
- Mehrweg-Systembetreibern und
- Produktherstellen notwendig.
Wer welche Aspekte berücksichtigen sollte und möglicherweise beeinflussen kann, können Sie der Tabelle entnehmen.
3 zentrale Faktoren bei Mehrweg-Glas für Lebensmittel
Das ökologische Abschneiden von Mehrweggläsern für Lebensmittel kann von drei Seiten beeinflusst werden:
- durch die Verpackung selbst, also die Spezifikationen des Mehrwegglases,
- durch Aufbau und Logistik des Mehrwegsystems als Ganzes und
- durch das verpackte Produkt.
Einflussfaktoren bei der Verpackung
Ein ganz entscheidender Faktor ist die Umlaufzahl in Verbindung mit der Rücklaufquote. Aber auch Transportwege, Packeffizienz und (!) Mehrwegdeckel können den Ausschlag geben.
- Zielwert sollte eine Umlaufzahl von mindestens 50 und eine Rücklaufquote von mindestens 90 Prozent sein.
- Die Gläser sollten dabei so stabil wie nötig und so leicht wie möglich sein, um die hohen Umlaufzahlen erreichen zu können.
- Kurze Wege und eine effiziente Logistikkette sind elementar für eine gute Ökobilanz, da bei Mehrwegsystemen im Vergleich zu Einwegverpackungen auch die Rückfahrt des Leerguts notwendig ist und Mehrweggläser zudem verhältnismäßig schwer sind.
- Wenn kurze Distributionswege nicht realisierbar sind, könnte auch die komplette Umstellung auf PET-Mehrweg interessant sein.
- Die Packeffizienz der Verpackungen sollte möglichst hoch sein. Das gilt insbesondere für den Rücktransport. Gut stapelbare und leicht zu transportierende Mehrwegverpackungen leisten einen großen Beitrag für eine effiziente Transportlogistik.
- Mehrweg-Deckel machen einen Unterschied. Der Einwegdeckel von Mehrweggläsern ist aktuell (noch) ein großer Negativ-Faktor bei den Umweltwirkungen von Mehrwegsystemen.
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- Mehrwegdeckel für Mehrweg-Gläser sind derzeit eine echte Marktlücke (und bieten damit auch große Chancen). Ziel wäre ein Mehrwegdeckel, der vergleichbar hohe Umlaufzahlen wie der Behälter erreicht, hygienisch und einfach zu reinigen ist und gleichzeitig praktikabel auf verschiedene Behälterformen und für beliebige Produkte eingesetzt werden kann.
Einflussfaktoren im System Reinigungslogistik
Neben dem Einweg-Weißblech-Deckel tragen vor allem die Abfüll- und Waschprozesse erheblich zu den Gesamtumweltwirkungen im System Glas-Mehrweg bei.
- Durch die sich immer wiederholende Reinigungslogistik in der Wertschöpfungskette können auch kleine Verbesserungen der Abfüll- und Waschprozesse zu einer sichtbaren Veränderung führen und die Ökobilanz dementsprechend verbessern. Kleine Verbesserungen entfalten durch hohe Umlaufzahlen eine große Wirkung.
- Viele Faktoren können geprüft und effizienter gestaltet werden. Dazu gehört:
- der Wasserverbrauch und effizienten Abläufen insgesamt,
- der Einsatz von Spül- und Desinfektionsmittel,
- leicht zu handhabende Behälterformen,
- die Auslastung der Spülmaschinen,
- logistische Aufwände während der Reinigungsprozesse und
- Transportdistanzen.
- Eine wichtige Rolle spielt auch der Charakter und die Umsetzung des Poolsystems. Wird ein großer Pool an gleichen Behältern von unterschiedlichen Abfüllern genutzt und steht ein großes, regionales Netzwerk der Rückgabemöglichkeiten der leeren Behälter zur Verfügung, senkt das nicht nur die Zahl und die Distanz der Rückgabefahrten, sondern die Behälter sind auch schneller wieder im Umlauf.
- Sind die Transportkilometer des Poolsystems vergleichbar mit der jenen alternativer Einwegbehälter, zahlt sich das Mehrwegsystem ökologisch meist nicht aus.
Einflussfaktoren des Produkts
Das Füllgut beziehungsweise Faktoren wie Dichte und Aggregatzustand spielen eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung ökologischer Sinnhaftigkeit von Mehrweg-Glasbehältern.
- Produkte mit einer geringen Dichte und dementsprechend einer geringen Menge verpacktem Produkt pro Behälter sind überwiegend nicht für den Einsatz von Mehrwegbehältern geeignet (siehe Faustregel weiter oben).
- Dichte und Aggregatzustand des Produkts entscheiden auch über die möglichen Verpackungsalternativen. So eignet sich Schüttgut beispielsweise auch zum Unverpackt-Verkauf oder kann in Papier oder einer dünnen Kunststofffolie verpackt werden.
- Auch die Regionalität des Füllguts spielt eine wichtige Rolle. Zum Verpacken in Mehrweggläsern eigenen sich regional angebaute Produkte, die auch regional verarbeitet und abgefüllt werden, besser als Produkte, die in anderen Ländern angebaut und verarbeitet werden. Findet die Abfüllung bereits in anderen Ländern statt, haben Einwegverpackungen aufgrund des geringen Gewichts oft Vorteile.
- Die Saisonalität des Füllguts ist ebenfalls ein Faktor. Saisonale Produkte wie Apfelmus oder Rotkohl werden nur einmal im Jahr geerntet und verpackt. Würden die Mehrweggläser nur für solche Produkte genutzt, wären die ökobilanziell nötigen hohen Umlaufzahlen erst nach Jahrzehnten erreicht. Um dem zu begegnen, sind Poollösungen und die Nutzung der Gläser für verschiedene Produktarten wichtig.