Top oder Flop? Nachhaltigkeits-Bilanz 2022 und Ausblick 2023

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Das Jahr 2022 hat uns mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert. Steigende Energie- und Rohstoffkosten, Inflation und Krieg in der Ukraine haben viele Ressourcen beansprucht. Was hat das mit dem Megathema Nachhaltigkeit und seinen Aspekten wie Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz gemacht? Ist es unter den Tisch gefallen? Trat es auf der Stelle? Oder gab es Fortschritte? Um eine sinnvolle Antwort auf diese Frage geben zu können, müssen wir uns Teilbereiche anschauen. Und so werfen wir einen bilanzierenden Blick auf das Messegeschehen, die Top-3-Initiativen, die Selbstverpflichtungen im Bereich Kunststoff, das Verpackungsdesign und regulatorische Aktivitäten der EU. Außerdem blicken wir nach vorne: Was erwartet uns 2023?

 

Fachmessen: Nachhaltigkeit bleibt Nr. 1

Fachmessen sind ein guter Gradmesser für die Relevanz von Themen einer Branche. Im Jahresrückblick schauen wir deshalb auf die FACHPACK und die K-Messe.

Kreislaufwirtschaft ist spätestens seit dem Green Deal der EU das zentrale Thema im Bereich Nachhaltigkeit. Auf der FACHPACK Ende September 2022 war es offiziell eines der drei gesetzten Top-Themen. Wer die Messe besucht hat, konnte jedoch den Eindruck gewinnen, das Circular Economy alles andere überschattete.

  • Selbst im Vergleich zum Vorjahr hat Kreislaufwirtschaft nochmals an Bedeutung gewonnen. Es zeigte sich sehr deutlich, dass die Verpackungsindustrie mit zunehmender Dynamik versucht, ihre Kreisläufe zu schließen.
  • Beispiele aus dem Bereich der Verpackungsherstellung sind Firmen wie Südpack und Greiner, die durch Kooperationen und Akquisitionen die Verfügbarkeit der zunehmend stärker nachgefragten und immer wertvoller werdenden Recyclingmaterialien sicherstellen.
  • Auch der Verpackungs-Maschinenbau hat das Thema erkannt. Stellvertretend dazu steht die Aussage von Richard Clemens (VDMA Geschäftsführer Fachverbände Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen und Verfahrenstechnische Maschinen und Apparate): „Unsere Mitglieder haben die wirtschaftlichen Potenziale der Kreislaufwirtschaft erkannt und haben sich mit Hochdruck auf die Reise begeben“.

Die K-Messe Anfang Oktober 2022 in Düsseldorf hatte mit Klimaschutz und Circular Economy sogar zwei ihrer drei Schwerpunktthemen der Nachhaltigkeit gewidmet. Das Thema wurde dabei sowohl von den großen Kunststoffproduzenten als auch von den Maschinenbauern besetzt.

  • Bei den Kunststoffproduzenten stach insbesondere das große Angebot an zirkulären Rohstoffen ins Auge. So zeigte beispielsweise INEOS Polystyrol-Recyclate aus dem mechanischen Recycling, die bei zwei großen deutschen Molkereien bereits in konkreten Anwendungen sind.
  • Im Bereich Maschinen- und Anlagenbau haben der VDMA und 13 seiner Mitgliedsunternehmen im Circular Economy Forum der K 2022 die Leistungsfähigkeit der deutschen Maschinenbauer anhand modernster Technologien für die Kreislaufwirtschaft präsentiert.
    • Auffällig war hier vor allem die Breite der präsentierten Recyclingtechniken. Besucher konnten an laufenden Maschinen sehen, wie aus Kunststoffabfällen hochwertiges Re-Granulat hergestellt wird und wie Rezyklate in verschiedenen Verarbeitungsverfahren zu attraktiven, hochfunktionalen und kreislauffähigen Produkten verarbeitet werden.
    • Das Thema Energieeffizienz hat man im Bereich der Produktionsmaschinen, wie zum Beispiel bei Spritzgussmaschinen, schon seit längerer Zeit erkannt. Die Maschinen werden inzwischen bei der Präsentation zunehmend mit ihrem Product Carbon Footprint vermarktet.

 

Top-3 Initiativen: Ratings, Strategien, Commitments

2022 hat gezeigt, dass drei führende Nachhaltigkeitsinitiativen auch im Verpackungsbereich zunehmend zur Pflicht werden. Ihre Bedeutung und Anwendung steigt kontinuierlich – auch wenn es in der Umsetzung zum Teil noch hakt.

  • Das Nachhaltigkeits-Rating EcoVadis entwickelt sich zum „Goldstandard“ für die Lieferantenbewertung. Immer mehr B2C-Firmen setzen auf EcoVadis, um die Nachhaltigkeitsbemühungen ihrer Lieferanten zu überprüfen und transparent darzustellen.
  • Klimastrategien werden zunehmend auf der Basis von wissenschaftlich fundierten Klimazielen (Science Based Targets initiative; SBTi) mit Transparenzverlegung im Rahmen des CDP (Carbon Disclosure Projects) aufgesetzt. Der Vorteil: Die Klimaziele werden auf diese Weise methodisch nachvollziehbar. Fortschritte werden messbar und lassen sich transparent darstellen.
  • Nachhaltigkeits-Commitments erfolgen verstärkt im Rahmen der New Plastics Economy der Ellen MacArthur Foundation (EMF). Diese stellt einen klaren Handlungsrahmen und Handlungsempfehlungen in Bezug auf das Verpackungsdesign zur Verfügung.

Der Knackpunkt: Eine Beteiligung an solchen Initiativen und entsprechende Commitments führen nicht zwangsläufig zu einem ausreichenden Fortschritt im Sinne der Nachhaltigkeit.

  • Das zeigt eine aktuelle Studie zu den Klimazielen von Unternehmen in den G7-Ländern der gemeinnützigen Organisation CDP, die ein System zur Offenlegung von Klimadaten für Unternehmen, Städte und Regierungen betreibt. Konkret: Das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel einer Erwärmung um 1,5 Grad ist „derzeit unerreichbar“. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Emissionszusagen der großen Unternehmen in den G7-Ländern weltweit, sind wir mit einer Erderwärmung um 2,7 Grad konfrontiert.

 

Exkurs: Selbstverpflichtungen zur Kunststoffreduktion

Das gleiche Bild zeigt sich mit Blick auf die Selbstverpflichtungen der Unternehmen zur Reduktion des Kunststoffeinsatzes. So verfehlt nach Recherchen der Deutschen Welle (DW) und des European Data Journalism Network die Lebensmittelbranche ihre Plastikziele deutlich.

  • Untersucht wurden die Selbstverpflichtungen zur Reduktion von Kunststoffabfällen der 24 größten europäischen Lebensmittel- und Getränkehersteller.
  • Nach Angaben des Rechercheteams wurden 98 Plastikversprechen der vergangenen 20 Jahre
  • Mehr als die Hälfte der Zusagen seien erst in den letzten Jahren gemacht worden, meist mit dem Zieljahr 2025.
  • 19 der 98 identifizierten Versprechen bezögen sich auf die Reduktion von Kunststoffverpackungen oder Neuplastik.
  • Zwei Drittel der betrachteten Unternehmen habe sich verpflichtet, Kunststoffverpackungen wiederverwertbar zu machen.
  • Ein Drittel der Unternehmen strebe an, einen größeren Anteil an recycelten Kunststoffen in ihren Verpackungen einzusetzen.

Beim Vergleich von gesteckten und erreichten Zielen konstatiert das Rechercheteam:

  • Trotz einiger konkreter Schritte und Ergebnisse, hinken Konzerne wie Danone, Ferrero oder Nestlé ihren selbstgesteckten Zielen zur Reduktion von Kunststoffabfällen deutlich hinterher.
  • Zwei Drittel aller „alten“ Plastikziele sind gescheitert oder werden fallen gelassen. Von 37 Zusagen, die bereits hätten erfüllt werden müssen, ist ein Großteil (68 Prozent) entweder unerfüllt oder wurde nicht mehr erwähnt.
  • Der nächste „Lackmustest“ für die Industrie stehe im Jahr 2025 an. Bis dahin müssen die Unternehmen ihre aktuellen Plastikversprechen vollständig eingelöst haben.
  • Einige der selbstgesteckten Ziele seien durch die ehrgeizige Kunststoffgesetzgebung der Europäischen Union bereits verbindliche, regulatorische Vorgaben geworden.
  • Selbstverpflichtungen alleine reichen nicht aus so die Ansicht zitierter Experten, wie beispielsweise der Brüsseler Denkfabrik Changing Markets Foundation.

 

Verpackungsdesign

Auch beim Verpackungsdesign gibt es im Hinblick auf Nachhaltigkeit noch viel Luft nach oben. Wobei Luft nach Ansicht von Verbraucherschützern eines der Probleme ist. Genauer gesagt: Zu viel Luft in den gefüllten Packungen, die durch einen unnötig hohen Materialeinsatz auch aus Nachhaltigkeitssicht suboptimal ist.

  • In Stichproben hat die Verbraucherzentrale Hamburg 15 Produkte geröntgt, zu denen Bereits Beschwerden von Konsumentinnen und Konsumenten vorlagen. Das Resultat: Alle 15 überprüften Artikel waren höchstens zur Hälfte gefüllt, viele wiesen sogar noch weniger Inhalt auf.
    • So enthielt eine Plastikdose mit Vitamin-B12-Tabletten von KAL laut Verbraucherzentrale Hamburg schätzungsweise 95 Prozent Luft.
    • Mit circa 65 Prozent Luft schnitten auch eine Backmischung für Bananenbrot von Baetter Baking, ein Mandelgebäck von Ricciarelli, eine Fertigmischung für einen Apfel-Nuss-Tassenkuchen von Lizza und die Knorr-Schinken-Hörnli besonders schlecht ab.
    • Bei Somat-Gold-Geschirrspültabs und Schokoladenmandeln der Lidl-Eigenmarke Mister Choc wurde ein Luftanteil von 60 Prozent registriert.
    • Bei Mini-Waffeletten von Bahlsen betrug der Luftanteil immerhin 50 Prozent, ebenso wie bei einer Kuchenbackmischung von Dr. Oetker und Tortilla-Chips von Fuego.

In unserer Rubrik „Marktkenntnis“ werfen wir einen umfassenden Blick auf Nachhaltigkeit im Bereich FMCG und Handel. Dort stellen wir Ihnen die Top 5 Trends vor.

 

CO2 als neue Währung

Konsumentinnen und Konsumenten haben in 2022 CO2 zunehmend als neue Währung kennengelernt. Wie verschiedenste Studien – sowie Marktbeispiele zeigen, sind westliche Verbraucher zunehmend bereit, für nachhaltigere Verpackungen auch mehr Geld auszugeben.

Einschränkend muss man dazu jedoch sagen, dass es derzeit noch keine objektive Grundlage für die Nachhaltigkeitsbewertung gibt. Das Urteil der Konsumenten ist häufig emotional und damit subjektiv begründet. Das ist den Verbrauchern jedoch durchaus bewusst und sie fordern deshalb zunehmen vernünftige und relevante Informationen ein, die sie bei der Nachhaltigkeitsbewertung unterstützen.

Auch die Unternehmen der Markenartikelindustrie wissen um diese Entwicklung. Entsprechend gehen immer mehr davon aus, dass die Klimafreundlichkeit eines Produktes bei der Bewertung durch Konsumenten eine zunehmend große Rolle spielen wird. Schon versprechen uns erste Konsumprodukte, dass sie klimaneutral oder gar klimapositiv sind.

Am Point of Sale kann dieses Produkt- und Verpackungsmerkmal durchaus den Unterschied im Rahmen des Kaufprozesses machen. Sie gibt den Konsumenten das Gefühl, aktiv etwas gegen den Klimawandel zu tun. Wie bereits erwähnt, fehlt es aktuell jedoch noch an den Voraussetzungen für eine saubere Definition von Klimaneutralität oder ein sinnvolles Carbon-Labeling.

 

Regulatorische Tätigkeiten

Auch in 2022 ist die Nachhaltigkeits-Regulierung weiter vorangeschritten. Der Stellenwert der regulatorischen Tätigkeiten für den Bereich Nachhaltigkeit ist immens. Deshalb wollen wir diesen Aspekt ausführlicher beleuchten und verweisen Sie auf unsere Rubrik „Politik“ am Ende dieses Newsletters.

 

2023: Quo vadis Nachhaltigkeit?

Der Rückblick auf 2022 hat gezeigt, dass sich durchaus ein gewisser Fortschritt feststellen lässt. Es geht also voran mit den Nachhaltigkeitsbestrebungen unserer Industrie. Die Zeit für Schulterklopfen ist aber eindeutig noch nicht gekommen. Wir müssen mehr tun, um mehr zu erreichen.

Dass die bislang erzielten Ergebnisse in Bezug auf Nachhaltigkeit bei weitem nicht ausreichen, hat nicht zuletzt die kürzlich beendete Klimakonferenz in Ägypten gezeigt. Gleichzeitig steht sie nicht nur formal für einen neuen Fokus.

 

Klimakonferenz COP27

Die “United Nations Framework Convention on Climate Change, 27th Conference of the Parties” (COP27) fand vom 6. bis 18. November 2022 im Ägyptischen Sharm el-Sheik auf der Sinai-Halbinsel statt.

 

Neuer Fokus

Was diese Klimakonferenz besonders machte: Sie ist die erste COP, bei der es nicht mehr um die Ausverhandlung des Rahmenwerks ging, das als „Übereinkommen von Paris“ am 12. Dezember 2015 beschlossen worden war. Dessen Ausarbeitung wurde letztes Jahr auf der COP26 in Glasgow abgeschlossen.

Von nun an rückt der Fokus stärker auf die tatsächliche Umsetzung des Abkommens. Und da mangelt es – wie im Rückblick auf das Jahr 2022 thematisiert – an vielen Stellen. Kurz und bündig formuliert: Die bisherigen Maßnahmen für den Klimaschutz und zur Minderung der Treibhausgasemissionen reichen bei weitem nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung zu erreichen.

 

Mehr Tempo

Um besser zu werden und die nötigen Ergebnisse zu erzielen, muss jede Industrie ihren Beitrag leisten. Das gilt dezidiert auch für die Verpackungsindustrie. Sie muss zulegen und ihr Veränderungstempo erhöhen.


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