Ist hohes Wachstum am Verpackungsmarkt ein Scheinriese? Eine korrekte Betrachtung der Zahlen

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Was tun, wenn die Zahlen der Marktforschung starkes Wachstum zeigen? In die Vollen gehen? Investieren? Sich auf goldene Zeiten freuen? Wir raten: Erstmal zweimal hinschauen. Denn die Antwort ist oft ein klares „vielleicht“. Marktforschungen basieren meist auf dem Umsatz. Der ist aber nur ein Teil der Wahrheit – und sollte mit Verkaufseinheiten oder Gewicht abgeglichen werden. Wir zeigen Ihnen, wie man Zahlen richtig interpretiert, welche Größen relevant sind und wie es in einzelnen Branchen wirklich aussieht. Denn der Verpackungsmarkt wächst nicht so, wie viele denken.

 

Der Autor Michael Ende (Momo, Die unendliche Geschichte) beschreibt in einer Geschichte den Scheinriesen Tur Tur, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt. Passen Sie auf, dass Ihnen im Hinblick auf Wachstumszahlen nicht das Gleiche passiert.

Umsatzwachstum ist klasse, keine Frage. Aber ein gestiegener Umsatz in der Branche bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch die Menge oder Zahl der benötigten Verpackungen steigt. Gerade in Zeiten immens steigender Preise wächst der Umsatz oft rapide. Das Wachstum korreliert aber nicht zwangsläufig mit steigendem Bedarf oder mehr verkauften Einheiten.

Wer sich also vorschnell vom steigenden Branchenumsatz blenden lässt, muss später eventuell feststellen, dass der Mehrbedarf nicht oder in deutlich geringerem Maße existiert. Gerade Investitionen aufgrund eines erwarteten Marktwachstums sollten nicht auf reinen Umsatzzahlen basieren.

 

Unser Rat: Bewerten Sie das Marktwachstum auf Basis von Verkaufseinheiten oder Menge bzw. Gewicht. Anhand dieser Werte lässt sich wesentlich direkter und zuverlässiger ermitteln, ob Investitionen in mehr Material, mehr Maschinen oder mehr Mitarbeiter wirklich vielversprechend sind.

 

Relevante Faktoren

Macht Arbeit, lohnt sich aber: Verifizieren Sie die Wachstumsprognosen Ihrer Branche, Ihres Material oder Segments in Bezug auf relevante Faktoren wie unter anderen:

  • Verkaufseinheiten (Units)
  • Gewicht (Tonnage)
  • Wachstum des BIP
  • Bevölkerungswachstum (speziell in der demographischen Zielgruppe)
  • Wachsende Zahl (konkurrierender oder nachfragender) Unternehmen in der Branche/dem Segment

 

Beispiel Pharma-Branche

Pharma ist eine der wachstumsstärksten Branchen überhaupt. Der Homepage des deutschen Apothekerverbandes kann man folgende Zahlen entnehmen:

  • 2018 Umsatz nach Wert: 50,5 Mrd. € bei 1.363 Medikamentenverpackungen
  • 2020 Umsatz nach Wert: 56,7 Mrd. € bei 1.296 Medikamentenverpackungen.
  • Ergebnis I: Ein Umsatzwachstum von +5,8 Prozent p.a. gemessen am Umsatz.
  • Ergebnis II: Ein negatives Wachstum von -2,5 Prozent gemessen an den Verkaufseinheiten!

Die Zahlen versprechen gute Renditemöglichkeiten, wenn man als Investor in Apotheken oder einen Medikamentenhersteller investieren will. Für einen Hersteller oder Rohstoffhersteller von Pharmaverpackungen bedeuten die Zahlen jedoch das Gegenteil. Investiert er aufgrund des Umsatzwachstums der Branche in zusätzliche Maschinen, dann ist die Gefahr groß, dass Stillstandszeiten zu einem Thema für ihn werden.

Denn längst nicht immer korrelieren höhere Umsätze mit mehr Verkaufseinheiten. Insbesondere bei der Pharmabranche kann das hierzulande in die Irre führen. Denn es gibt in Deutschland keinerlei gesetzliche Regelungen für Preise und Preisanstiege bei Arzneien. Dieser Spielraum wird von Medikamentenhersteller gerne genutzt. In der Folge gehen die Umsätze durch die Decke, obwohl die verkaufte Menge gleichzeitig sinkt.

 

FMCG-Segmente unter der Wachstumslupe

Für die Berechnung haben wir Zahlen sowohl in Bezug auf „Menge in Units“, als auch in Bezug auf „Wert in EUR“ für die Jahre 2020 und (prognostiziert) 2024 verarbeitet und daraus das CAGR ermittelt. Betrachtet wurde das summierte Wachstum von FMCG-Segmenten den Schlüsselmärkten West- und Osteuropas.

Die Entdeckung: Es lassen sich deutliche Unterschiede in der Betrachtung nach Wert und nach Menge erkennen. So ist das Wertwachstum in vielen Segmenten mehr als doppelt so groß wie das Wachstum der Menge.

Beispiel Lebensmittel: In diesem Segment beträgt das Mengenwachstum 0,8 Prozent. Das Wertwachstum ist mit rund 2,3 Prozent fast dreimal größer, als das Mengenwachstum! Im Segment Kosmetik haben wir ein ähnliches Bild – mit einem rund doppelt so großen Wertwachstum. Bei Tabakprodukten gibt es eine Sondersituation durch beständig sinkende Mengen. Durch die gleichzeitigen, kontinuierlich steigenden Preise ist die Differenz hier besonders hoch und summiert sich auf 4 Prozent.

 

Ursachen für die Differenzen

Auch wenn sich feststellen lässt, dass der Bedarf kontinuierlich in allen Segmenten bis auf Tabak wächst, so ist das Wachstum nach Wert doch zusätzlichen Einflussfaktoren unterworfen. Dazu zählen beispielsweise:

  • Inflation
    Inflation treibt die Preise. So verteuerten sich im August 2021 Waren und Dienstleistungen im Jahresvergleich um fast vier Prozent. Vor allem Energie und Lebensmittel sind betroffen.
  • Weiterentwicklung der Produkte
    Innovationen und Optimierungen haben ihren Preis. Segmentübergreifend kann man hier beispielsweise die Aufwendungen für mehr Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft nennen. Aber auch die Weiterentwicklung von Produkten ist nicht kostenlos. So haben gesündere Produkte im Zuge des Megatrends um verbesserte Nährwerte viel Entwicklungsarbeit gekostet.
  • Gesetzliche Einflüsse
    Ein Beispiel ist das Lieferkettengesetz, das zu Mehraufwand für die Hersteller führt, was das Produkt sicher nicht günstiger werden lässt.
  • Steuerliche Belastungen
    Dieser „Preistreiber“ trifft insbesondere Bereiche, in denen der Staat regelmäßig regulierend einwirkt wie beispielsweise durch Anhebung der Tabaksteuer oder der CO2-Abgabe. So ließ die Einführung der CO2-Abgabe in Höhe von 25 Euro pro Tonne zu Jahresbeginn 2021 die Energie- und Transportkosten deutlich steigen. Gerade die CO2-Abgabe dürfte in Zukunft noch deutliche Spuren hinterlassen, falls die politischen Mehrheiten nach der Bundestagswahl die geplante Anhebung auf 100 Euro auf den Weg bringen.

 

Nicht auf den Scheinriesen setzen

Wer es wirklich richtigmachen will, prüft seine Wachstumschancen auch im Hinblick auf andere, relevante Faktoren. Denn die Ursachen für Differenzen von Mengen- und Wertwachstum können vielfältig – und sehr aufschlussreich – sein. Achten Sie darauf, was genau da wächst. Wächst der Wert oder die Menge? Gerade in Zeiten galoppierender Preise wird das immer wichtiger.


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